Chinas Draft Human Factors Guidance
Die Human Factors Welt stand auch in Corona-Zeiten nicht still. Wie bereits angekündigt wurde in China im Mai die neue Human Factors Guidance als Draft veröffentlicht. Kommentare sind noch bis zum 26. Juni 2020 möglich, allerdings können diese nur von Unternehmen bzw. Institutionen mit Sitz in China eingereicht werden.
Das Draft Guidance Paper umfasst 66 Seiten in chinesischer Sprache. Erste Übersetzungen in die englische Sprache kursieren im Netz. Aber was besagt die neue Richtlinie, die sowohl für nationale aber auch für internationale Hersteller von Medizinprodukten und für Produkte der Klasse II und III gültig sein wird?
Zunächst lässt sich sagen, dass viele Parallelen zur IEC 62366-1:2015 und dem FDA Guidance Dokument „Applying Human Factors and Usability Engineering to Medical Devices“ zu erkennen sind. Das neue chinesische Draft Guidance Dokument liest sich wie eine Kombination aus einem Prozessstandard und einem Designhandbuch, wie man es aus dem früheren AAMI/ANSI Dokument HE 48, welches später in die HE 74 und HE 75 aufgesplittet worden ist, kennt.
Die erste Hälfte des Dokumentes beschäftigt sich überwiegend mit dem Geltungsbereich, den allgemeinen Prinzipien, dem Risikomanagement sowie dem Human Factors Design Prozess, der Dokumentation und den Zulassungsvoraussetzungen. In der zweiten Hälfte des Dokumentes, dem Anhang, werden allgemeine Aspekte des User Interface Designs und der Kognitionspsychologie behandelt, inklusive der Anforderungen an die Gebrauchsinformationen, die Verpackung und das Labeling. Ein Kapitel widmet sich zudem den zu beachtenden kulturkreisspezifischen Unterschieden.
Eine erste Übersetzung des Inhaltsverzeichnisses in englischer Sprache lässt sich wie folgt darstellen:
Foreword
- Scope of application
- Basis of human factors design
- Basic concept
- Core elements
- Common methods
- Basic principles
- Positioning of human factors design
- Use risk orientation
- Full life cycle management
- IV. Process of human factors design
- Verification and confirmation of human factors design
- Formative evaluation
- Summative evaluation
- Technical considerations
- Clinical trials
- Imported medical devices
- Off-the-shelf user interface
- Standards
- Change of human factors design
- Research information for human factors design
- Research report of human factors design
- Use risk assessment report
- Explanation of registration application dossiers
- Product registration
- Change of licensing items
- Renewal
- References
Appendix: Basic elements of human factors design
- Basic human capacity
- Use environment
- Display
- Connection
- Control
- Software user interface
- Instruction
- Labelling
- Packaging
- Cultural differences
Die Tatsache, dass verschiedene Übersetzungen kursieren, von denen bislang keine offiziell ist, macht eine genaue Interpretation der Inhalte und Anforderungen schwierig. Dies gilt insbesondere für die anzunehmende Verbindlichkeit von Anforderungen. Per Definition bedeutet das Wort „shall“, dass die Einhaltung einer Anforderung oder eines Tests für die Erfüllung einer normativen Anforderung zwingend erforderlich ist. Das Wort „shall“ findet sich in den verbreiteten Übersetzungen der chinesischen Guidance jedoch unterschiedlich oft, so dass nicht klar ist, wann eine Anforderung zwingend notwendig umzusetzen ist und wann es sich ausschließlich um eine Empfehlung handelt.
Die Guidance empfiehlt bei der formativen Usability Evaluierung die Berücksichtigung von 5-8 Anwendern pro Anwendergruppe und bei der summativen Evaluierung werden – bei einer einzelnen Anwendergruppe 20-30 Teilnehmer empfohlen. Gibt es mehrere Anwendergruppen, so sind 15-20 Anwender pro Gruppe die Empfehlung. Eine explizite Anforderung, dass Studienteilnehmer nationale, chinesische Bürger sein müssen, so wie es, vergleichbar die amerikanische FDA Guidance verlangt, findet man nicht in dem Kapitel um die summative Evaluierung, aber dafür in dem später folgenden Kapitel mit speziellen Anforderungen an solche Produkte die aus dem Ausland importiert werden bzw. in China vertrieben werden sollen. Hier wird konsequent eine summative Evaluierung im chinesischen Markt gefordert, um den kulturkreisspezifischen Einfluss zu berücksichtigen. Ausnahmen scheinen möglich, wenn eine Rationale erbracht werden kann, dass es keine signifikanten Unterschiede zwischen den Ländern gibt und eine sichere und effektive Anwendung ebenso durch Daten einer Studie aus einem anderen Land belegt werden kann.
Interessant ist zudem die Möglichkeit eines Vergleichs eines neuen in der Zulassung befindlichen Produktes mit einem äquivalenten Produkt im Markt. Für die Zulassung muss dann eine Analyse durchgeführt werden, z.B. auf Basis von Marktbeobachtungsdaten, inwieweit die Anwendungsrisiken vergleichbar sind oder ob zusätzliche Risiken mit dem neuen Produkt auftreten können. Im letzteren Fall müssen diese ggf. in einer separaten summativen Studie evaluiert werden. Sind die Risiken vergleichbar, muss allerdings Zugriff auf den summativen Evaluierungsbericht des am Markt befindlichen Gerätes bestehen und darauf referenziert werden.
Detaillierte Anforderungen lassen sich sicher erst nach Finalisierung und offizieller Übersetzung der Guidance ableiten. Sicher ist, dass die neuen Anforderungen nicht nur einen bedeutenden Einschnitt für Hersteller außerhalb Chinas bedeuten, die ihr Produkt in China in Verkehr bringen wollen, sondern vor allem auch für die chinesische Medizintechnikindustrie selbst. Es bleibt also abzuwarten, inwieweit die chinesische Industrie selbst Widerspruch einlegen wird.